Was ist Kinaesthetics?

Die Inhalte

Der Begriff Kinaesthetics kann mit „Kunst/Wissenschaft der Bewegungswahrnehmung“ übersetzt werden.
Kinaesthetics beschäftigt sich hauptsächlich mit folgenden Inhalten:

  • Die Entwicklung der differenzierten und bewussten Wahrnehmung der eigenen Bewegung.
  • Die Entwicklung der eigenen Bewegungskompetenz, d. h. eines gesunden und flexiblen Einsatzes der eigenen Bewegung in privaten und beruflichen Aktivitäten.
  • Die differenzierte Analyse menschlicher Aktivitäten mittels der erfahrungsbasierten Blickwinkel von Kinaesthetics.
  • Die Fähigkeit, die eigene Bewegung im Kontakt mit anderen Menschen so einzusetzen, dass diese in ihrer eigenen Bewegungskompetenz bzw. in ihrer Selbstwirksamkeit gezielt unterstützt werden.

Kinaesthetics nähert sich diesen Inhalten auf zwei Wegen: Einerseits stellt es Instrumente und Methoden zur Verfügung, um individuelle Erfahrungen differenziert wahrzunehmen, einzuordnen und zu verstehen. Auf diese Weise fördert es die Achtsamkeit für die Qualitäten und Unterschiede der Bewegung in alltäglichen Aktivitäten. Andererseits ermöglicht Kinaesthetics die kognitive Auseinandersetzung mit theoretischen Grundlagen und wissenschaftlicher Forschung. Die Verbindung dieser beiden Herangehensweisen macht die Faszination und Innovation von Kinaesthetics aus.

Die Wirkung

Bewegung ist eine Grundlage des Lebens. Die Sensibilisierung der Bewegungswahrnehmung und die Entwicklung der Bewegungskompetenz können bei Menschen jeden Alters einen nachhaltigen Beitrag zur Gesundheits-, Entwicklungs- und Lernförderung leisten. Kinaesthetics kann helfen, neue Bewegungsmöglichkeiten zu entdecken und arbeitsbedingte Rückenschmerzen, Verspannungen oder andere körperliche Beschwerden anzugehen, im Alter beweglich und selbstständig zu bleiben oder auch sich mit der eigenen Kreativität und Flexibilität (z. B. im Umgang mit Stress) auseinanderzusetzen.
Bei der Pflege und Betreuung von Neugeborenen, alten Menschen, Personen mit Behinderung oder PatientInnen zeigt sich die Wirkung von Kinaesthetics stets in einem doppelten Sinn: Unterstützende und unterstützte Menschen profitieren gleichermaßen von einer größeren Bewegungskompetenz. Wenn Unterstützungsangebote als Interaktionen auf der Grundlage von Kinaesthetics gestaltet werden, führt dies einerseits zu erstaunlichen Fortschritten bei den unterstützten Menschen, und andererseits wird dadurch die Gesundheit der unterstützenden Personen gefördert.
Einem Betrieb ist es möglich, mit Kinaesthetics die praktische Kompetenz und Selbstverantwortung der MitarbeiterInnen gezielt zu fördern, es aber auch als zentralen Faktor der Organisations- und Qualitätsentwicklung einzusetzen.
Kinaesthetics will mit Respekt vor der Autonomie des Gegenübers Lern- und Entwicklungsprozesse fördern und so einen Beitrag zur Lebensqualität aller Beteiligten leisten.

Die Anwendung

Kinaesthetics ist im professionalen Bereich seit den 1990er-Jahren in der Schulung von Fachpersonal im Gesundheits- und Sozialwesen tätig. Pro Jahr werden in Europa ungefähr 3'000 Basiskurse mit 40'000 TeilnehmerInnen in diversen Institutionen angeboten.
Die große Nachfrage wird durch verschiedene Kinaesthetics-Programme abgedeckt. Am weitesten verbreitet ist das Programm „Kinaesthetics in der Pflege“, das sich an professionelle Pflegende in Kliniken, Pflegeheimen usw. richtet, aber auch im Behindertenbereich zunehmend an Bedeutung gewinnt. Schon früh wurde speziell für die Pflege von Neugeborenen und Kleinkindern das Programm „Kinaesthetics Infant Handling“ entwickelt. Eine jüngere Entwicklung, die auf ein breites Interesse stößt, ist das Programm „Kinaesthetics Pflegende Angehörige“. Das neueste Angebot im professionalen Bereich ist „Kinaesthetics in der Erziehung“.
Im personalen Bereich ist Kinaesthetics mit den Programmen „Gesundheit am Arbeitsplatz“, „Lebensqualität im Alter“, „Kreatives Lernen“ auch auf dem Gebiet der persönlichen Gesundheits- und Entwicklungsförderung tätig.
Im organisationalen Bereich führt Kinaesthetics auf Anfrage Kinaesthetics-Assessments in Institutionen durch. Die Assessments können zu einer Kinaesthetics-Auszeichnung der Institution führen.
Die bestehenden Kinaesthetics-Programme und besonders Neuentwicklungen werden regelmäßig evaluiert und den Bedürfnissen aller Beteiligten angepasst. 

Die Geschichte

F. Hatch und L. Maietta entwickelten Kinaesthetics in den 1980er-Jahren auf der Grundlage ihres wissenschaftlichen Kontaktes zum Verhaltenskybernetiker K. U. Smith und ihres Interesses für Bewegung, Tanz und Lernen. Ihre Kurse stießen besonders bei Fachkräften aus dem Bereich der Pflege auf reges Interesse. In den 90er-Jahren begannen die ersten Kinaesthetics-TrainerInnen mit regelmäßigen Schulungen in verschiedenen Institutionen im deutschen Sprachraum. Das stetige Wachstum der Bildungsinstitution brachte mehrfach organisatorische Umstrukturierungen mit sich. Die letzte führte in den Jahren 2006–2007 zur Gründung der European Kinaesthetics Association (EKA).

Die theoretischen Grundlagen

Die Forschungen des Verhaltenskybernetikers K. U. Smith und der daran anknüpfende Kinaesthetics-Feldforschungsprozess bilden eine theoretische Grundlage von Kinaesthetics. Die Kybernetik beeinflusst durch Wissenschaftler wie G. Bateson oder H. v. Foerster die Theoriebildung in Kinaesthetics. Die Beschreibungen lebender Systeme durch die beiden Neurobiologen H. Maturana und F. J. Varela stellen eine weitere Grundlage dar. Bei der Weiterentwicklung der theoretischen Grundlagen stützt sich Kinaesthetics auf eigene Forschungsprojekte und auf aktuelle Forschungen in verwandten Bereichen.

Das Lernverständnis

„Leben heißt Lernen“ ist eine Grundannahme von Kinaesthetics. Das Kinaesthetics-Lernmodell bildet die didaktische Grundlage der Bildungsangebote. Das Thema Bewegungskompetenz bringt es mit sich, dass diese Angebote auf selbstverantwortlichem Lernen aufbauen und in einem hohen Maß individualisierend und prozessorientiert sind. Die individuellen Bewegungserfahrungen in alltäglichen Aktivitäten bilden die Basis und den Zugang zur kognitiven Auseinandersetzung mit Kinaesthetics. Die Sensibilisierung der eigenen Körperwahrnehmung hat eine direkte Auswirkung auf die Bewegungskompetenz und das Verhalten der TeilnehmerInnen in der Praxis. Die Kinaesthetics-TrainerInnen gestalten auf diesen Grundlagen eine Lernumgebung in Interaktion mit der Kursgruppe.

Die Organisation

Kinaesthetics ist eine europäische Bildungsorganisation, zu der rund 1000 Kinaesthetics-TrainerInnen gehören. Als Unternehmen ist Kinaesthetics ein dezentral geführtes Netzwerk, das aus drei Ebenen besteht:

  • Die Kinaesthetics-TrainerInnen sind in einem Betrieb angestellt oder freiberuflich tätig. Sie sind die Kinaesthetics-SpezialistInnen in ihrem Betrieb oder organisieren und gestalten selbstverantwortlich die Durchführung der Basiskurse (Grund-, Aufbau-, Peer-Tutoring-Kurse). Sie stehen in enger Kooperation mit ihrer Länderorganisation.
  • Die Länderorganisationen sind wirtschaftlich und juristisch selbstständig und vertreten die Interessen von Kinaesthetics in ihrem Land. Zusätzlich sind sie für die Aus-, Weiter- und Fortbildung der TrainerInnen, die Administration und die Vernetzung zuständig.
  • Die European Kinaesthetics Association (EKA) ist der Zusammenschluss aller Länderorganisationen. Sie koordiniert die übergreifenden Aufgaben und ist u. a. für Forschung und Entwicklung verantwortlich.

Die Länderorganisationen

Haben Sie weitere Fragen zu Kinaesthetics, die auf diesem Infoblatt nicht beantwortet werden? Wenden Sie sich an die jeweilige Kinaesthetics-Länderorganisation.



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